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Willkommen in der Ausstellung „Gemeinsame Geschichte(n)“ eine virtuelle Ausstellung zur deutsch-jüdischen Geschichte von 1800 bis 1933
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Über das Projekt
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Impressum
Historische Einführung
Auswanderung in die USAAufbruch in ein neues Leben
Jüdische Lehrlinge fanden kaum Ausbildung bei Handwerksmeistern, denn die Vereinigungen der Handwerker nahmen in der Regel nur Christen auf. In Bayern gab es beispielsweise ein Gesetz, das bis 1861 die Zahl der jüdischen Familien in den einzelnen Gemeinden festschrieb: Viele Jüdinnen und Juden durften sich am Ort ihrer Geburt nicht niederlassen.
Dagegen versprach Amerika Land, Freiheit und ein Ende der Einschränkungen. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten etwa 460 000 Jüdinnen und Juden in deutschen Staaten – und viele nahmen Teil an den Auswanderungen in die USA. Schätzungen zufolge waren es 70 000 – 110 000 Jüdinnen und Juden, die zwischen 1845 und 1871 ihre Heimat verließen.
Diskriminierung, Ausgrenzung, GewaltFlucht vor dem NS-Regime
Auf Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt folgte die Auswanderung: Etwa 38 000 der 530 000 deutschen Jüdinnen und Juden verließen 1933 ihre Heimat. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 flüchteten etwa 250 000 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich.
Ein jüdischer NationalstaatDer Zionismus entsteht
Die zionistische Bewegung betrachtete die Juden als ein Volk. Sie hatte zum Ziel, dass Juden in das Land zurückkehren sollten, aus dem ihre Vorfahren in der Antike von den Römern vertrieben worden waren: Palästina. Die Ideen des Zionismus machte vor allem Theodor Herzl in seinem Werk „Der Judenstaat“ (1896) bekannt. Die jüdische Nationalbewegung nannte sich seither „Zionismus“.
Als die nationalsozialistischen Unterdrückungen aber zunahmen, verachtfachte sich bis 1935 deren Mitgliederzahl. Viele Intellektuelle unterstützten diese Bewegung. Einer der bekanntesten war der deutsche Physiker jüdischer Herkunft, Albert Einstein. Zwischen 1933 und 1941 wanderten etwa 47 000 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich nach Palästina ein.
Training für ein neues Leben
Zur Vorbereitung auf das harte Leben im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina diente den jungen Auswanderern die „Hachscharah“ („Ertüchtigung“): Dazu gehörten Kurse in Hebräisch und jüdischer Geschichte, aber vor allem eine landwirtschaftliche oder handwerkliche Ausbildung, um das Land zu besiedeln. Im Deutschen Reich gab es rund 30 Ausbildungsstätten, etwa das Gut Winkel bei Spreenhagen in Brandenburg wie auf diesem Foto aus dem Jahr 1934.
Eine Heimat in Palästina
Doch der Aufbruch
nach Palästina brachte den Verlust der Heimat mit sich. Bis 1931/32 fühlten sich die meisten
Jüdinnen und Juden als Deutsche. Sie versuchten weiterhin, ihr bisheriges Leben fortzuführen. Die Vereine der zionistischen Bewegung hatten
nur 7 500 Mitglieder.
Als die nationalsozialistischen Unterdrückungen aber zunahmen, verachtfachte sich bis 1935 deren Mitgliederzahl. Viele
Intellektuelle unterstützten diese Bewegung. Einer der bekanntesten war der deutsche Physiker jüdischer Herkunft, Albert Einstein. Zwischen 1933 und 1941 wanderten etwa 47 000 Jüdinnen
und Juden aus dem Deutschen Reich nach Palästina ein.
Levi Strauss
Der Mann, der die Blue Jeans erfandLöb „Levi“ Strauss
Aber die wirtschaftliche Not war groß. Für Juden kamen berufliche und soziale Einschränkungen hinzu. Zwischen 1827 und 1839 wanderte die Hälfte der Buttenheimer Juden aus. Fast alle zog es in die USA, so auch die zwei ältesten Brüder von Löb Strauss, Jonathan und Lipmann.
Schon gewusst? Was heißt ...
Synagoge: Haus der Versammlung, des Gebets und der Lesung aus der Thora. Die Synagoge war und ist religiöser, sozialer und kultureller Mittelpunkt einer jüdischen Gemeinde.
Damals ...
Das Geburtshaus von Levi Strauss in Buttenheim auf einem Foto um 1900. (Im Vordergrund ist nicht die Familie Strauss zu sehen, sondern andere Einwohner Buttenheims.)
Das Geburtshaus von Levi Strauss ... und heute
Tatsächlich wusste bis 1983 niemand mehr, dass Levi Strauss ursprünglich aus Buttenheim kam. Erst ein Brief aus den USA, in dem der Verfasser nach Informationen über das Leben des jungen Levi Strauss recherchierte, rückte das wieder ins Bewusstsein.
Heute gibt es in seinem Geburtshaus ein Levi Strauss Museum. Davor steht eine Bronzestatue der berühmtesten Persönlichkeit des Ortes.
Von Buttenheim nach New YorkStart in ein neues Leben
1848 konnten sie in der Lower East Side von New York ein eigenes Geschäft eröffnen. Ein Leben zwischen den „Sweatshops“, den beengten, kleinen Nähereien der Einwandererviertel, schien ihr Schicksal zu werden. Levi Strauss half, die Waren seiner Brüder zu verkaufen.
Die Hester Street auf diesem Foto war das Herzstück der jüdischen Gemeinde der Lower East Side. Das Foto entstand um 1900. Zu diesem Zeitpunkt hatte Levi Strauss die Metropole beinahe 50 Jahre verlassen.
Goldrausch in KalifornienAuf nach Westen!
Im Angebot hatte Levi Strauss alles, was die Minenarbeiter und Goldsucher an der Westküste zum Leben brauchten: Nadel und Faden, Hosenträger, Zahnbürsten, Arbeitskleidung und auch den Sonntagsanzug. Die Waren kamen von den Brüdern in New York. Levi Strauss folgten Fanny mit Familie, Louis und wahrscheinlich Mutter Rebekka 1856, weil sein Geschäft florierte und er vermutlich Hilfe brauchte.
Diese Aufnahme zeigt den Hafen von San Francisco in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Durch den „Goldrausch“ erlebte die Stadt einen großen Handelsaufschwung. Der Hafen dominierte an der amerikanischen Westküste Verfrachtung und Verkehr.
Die Geburtsstunde der Jeans
Goldsucher, Minenarbeiter und Farmer brauchten robuste Arbeitskleidung. Zunächst verkaufte Levi Strauss strapazierfähige Stoffe zum Selbstnähen der Kleidung. Doch dann machte ihm Jakob Davis, ein Schneider jüdischer Herkunft aus Riga, ein Angebot: Zur Verstärkung der Hosennähte setzte er Metallnieten ein. Aber für einen Patentschutz fehlten ihm die finanziellen Mittel. Levi Strauss hatte sie. Am 20. Mai 1873 erhielten Davies und Strauss ihr Patent auf die genieteten Kleidungsstücke.
Der Jeansstoff Denim
Die Hosen gab es aus einem „Duck“ genannten Baumwollstoff (niederländisch doek, „Tuch“) und in einer diagonalen, stabilen Webart, die wahrscheinlich nach ihrer Herkunft in Südfrankreich benannt ist: „de Nîmes", in amerikanischer Schreibweise: „Denim“.
„Die Hose mit den zwei Pferden“
Im Juni
1873 kamen die ersten „Blue Jeans“ in San Francisco in den Verkauf. Ab 1886 wies das Lederettikett mit den zwei Pferden auf die garantierte Qualität jeder Jeanshose hin - bis heute. Das Markenzeichen wie hier auf diesem Werbeplakat war mit Bedacht gewählt. Es verstanden auch Kunden, die nicht lesen konnten oder kein Englisch sprachen.
Eine frühe Fotoaufnahme
Nur ein Mann trug zumindest öffentlich niemals eine „Leviʼs“, wie sie bald liebevoll getauft wurde: Levi Strauss selbst. Fotos wie dieses aus den 1850er-Jahren zeigen ihn meist im schwarzen Geschäftsanzug mit weißem Hemd und Zylinder.
Eine angesehene PersönlichkeitJude, Unternehmer, Stifter
Strauss, mittlerweile ein wohlhabender Unternehmer, war auch Mitglied der gemeinnützigen Stiftung „Eureka“. Als er etwa erfuhr, dass die Bibliothek der Universität von Berkeley in Kalifornien wegen fehlender Beleuchtung schon am späten Nachmittag schließen musste, spendete er mit drei Geschäftsfreunden 1 000 US-Dollar (nach heutiger Kaufkraft etwa 28 000 US-Dollar). So konnte das Gebäude mit elektrischem Licht versorgt werden. Und als dieselbe Universität 1897 28 Stipendien für Studierende aus armen Familien einrichtete – Männer und Frauen –, bot Strauss an, die Zahl der Stipendien zu verdoppeln. Noch heute werden jedes Jahr 28 Levi-Strauss-Stipendien vergeben.
Als Levi Strauss am 26. September 1902 starb, zählte er zu den angesehensten Persönlichkeiten der Stadt.
Vom Einwanderer zum UnternehmerEin rasanter Aufstieg
In den USA setzte der Siegeszug der Jeans erst viele Jahre nach dem Tod von Levi Strauss in den 1930er-Jahren ein. In Europa wurde die blaube Arbeitshose nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt.
Heute arbeiten für den Bekleidungskonzern weltweit Zehntausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Historische Einführung
Kunst- und Kulturleben im 19. Jahrhundert Aufbruch in die Moderne
Bürger und vereinzelt auch Bürgerinnen jüdischer Herkunft gestalteten diese Veränderungen mit. Bekannt sind etwa der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy, der Maler Moritz Daniel Oppenheim oder der Dichter Heinrich Heine. Bekannt ist auch Rahel Varnhagen-Levin, die in ihrem Berliner Salon nicht nur den gleichberechtigten Dialog zwischen Juden und Christen, sondern auch zwischen Männern und Frauen förderte. Immer wieder wurden diese Annäherungen von Ausgrenzung und Judenfeindschaft begleitet. Der Komponist Richard Wagner schrieb 1850 seinen antijüdischen Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ mit der Absicht, „den Einfluss der Juden auf unsere Musik mit Aussicht auf Erfolg … zu bekämpfen“.
Die Radierung von Erich M. Simon (1892–1927) zeigt die Wohnung der Familie Varnhagen in Berlin. Dort kamen Gäste aus dem Adel und dem aufstrebenden Bürgertum zusammen. Ein Besucher war Heinrich Heine.
Gelehrte auf Augenhöhe
Der Komponist jüdischer Herkunft, Felix
Mendelssohn Bartholdy (1809–1847, rechte Bildhälfte) und der Dichter Johann Wolfgang von
Goethe (1749–1832). Das Gemälde malte Moritz Daniel Oppenheim 1864/65 als Beispiel für
gelungene Emanzipation.
Schon gewusst? Was heißt ...
Emanzipation: Dieser Begriff meint so etwas wie „Befreiung“ oder auch „Gleichstellung“, hauptsächlich von Personengruppen, die rechtlich benachteiligt werden. Die jüdische Emanzipation beschreibt die Entwicklung von Jüdinnen und Juden von einer sozialen und religiösen Randgruppe zu rechtlich gleichgestellten Mitgliedern einer Gesellschaft.
Das Kulturleben in der Weimarer RepublikEin goldenes Zeitalter
Wie schon zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs hatten Jüdinnen und Juden an den künstlerischen, kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen der Weimarer Republik großen Anteil. Der Maler Max Liebermann, die Dichterin Else Lasker-Schüler, der Physiker Gustav Hertz, der Autor Kurt Tucholsky und der Komponist Kurt Weill sind nur einige wenige Beispiele. Gleichzeitig nahm antisemitische Propaganda zu, die jüdische Beiträge zu Kunst, Kultur und Wissenschaft als „entartet“ herabwürdigte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erhielten viele deutsche Jüdinnen und Juden Arbeitsverbot und mussten daher auswandern.
Stark, kämpferisch, heldenhaft
Der deutsch-jüdische Bildhauer Benno Elkan (1877–1960) schuf 1925 den Chanukkaleuchter „Die fünf Makkabäer“. Er stellt fünf Juden als starke und kämpferische Helden dar und
widerspricht so ihrer gängigen Rolle als unterlegene Schwächlinge.
Schon gewusst? Was heißt ...
Makkabäer:
Die Makkabäer waren eine Gruppe jüdischer Kämpfer, die vor über 2000 Jahren ihre
Heimat von der griechischen Herrschaft befreien wollten. Durch ihren Sieg
konnte der Tempel in Jerusalem wieder eingeweiht werden. Das jüdische Chanukkafest
erinnert jedes Jahr an dieses Ereignis. Viele jüdische Sportvereine heißen heute „Makkabi“ nach den Makkabäern.
Ausstellungsraum 2
Albert Einstein
Kindheit und Jugend
Albert Einstein kam am 14. März 1879 in Ulm zur Welt. Seine
Eltern Hermann und Pauline Einstein waren assimilierte deutschen
Juden. Einstein besuchte als Schüler katholische und öffentliche Schulen. Die
jüdische Religion lernte er im Privatunterricht kennen, konnte sich damit aber nicht identifizieren.
Hinwendung zum Zionismus
1921 erklärte Einstein in einem Zeitungsartikel für die „Jüdische Rundschau“, er habe seine jüdischen Wurzeln erst in dem Moment wahrgenommen, als er 1914 in Berlin auf antisemitische Anfeindungen und die Not armer, aus Osteuropa geflohener jüdischer Studenten gestoßen sei: „Zusammen mit einigen Kollegen, Juden und Nichtjuden, veranstaltete ich Universitätskurse für Ostjuden, und ich möchte hinzufügen, dass wir in dieser Tätigkeit die offizielle Anerkennung und volle Unterstützung seitens des preußischen Unterrichtsministeriums genossen. Diese und ähnliche Erlebnisse haben in mir das jüdische nationale Gefühl geweckt. […] Das war das Hauptmotiv meines Anschlusses an die zionistische Bewegung.“
Schon gewusst? Was heißt ...
Ostjuden: Bezeichnung für Jüdinnen und Juden aus dem Russischen Kaiserreich, die zwischen 1881 und 1914 infolge von Pogromen und auch aus Armut auswanderten, überwiegend in die USA, aber auch ins Deutsche Reich. So entstand zu dieser Zeit etwa in Berlin ein großes jüdisches Viertel.
Jüdische Universitäten
Weil Juden die Mitgliedschaft in fast allen Studentenvereinigungen verschlossen war, gründeten sie Ende des 19. Jahrhunderts eigene Verbindungen. Auf diesem Foto vom 27. Februar 1924 sprach Albert Einstein auf der jüdischen Studentenkonferenz in Berlin. Vertreter jüdischer Studentenverbindungen berieten, wie jüdische Studentinnen und Studenten aus Osteuropa unterstützt werden konnten. Sie waren oft sehr arm und es gab Zulassungsbeschränkungen für die Aufnahme an Universitäten. Einstein sprach sich daher für die Gründung jüdischer Universitäten in Palästina, in Deutschland und in der Schweiz aus.
Schon gewusst? Was heißt ...
Assimilation: Bedeutet „Angleichung“ oder „Anpassung“. Assimilierte Jüdinnen und Juden versuchten, sich durch Übernahme von Verhaltensnormen und Lebensweisen an die christliche Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Religiöse Belange traten dabei oft in den Hintergrund, die staatsbürgerliche Identifikation in den Vordergrund.
Flucht vor dem NS-RegimeDas Verlassen der Heimat
Mit diesen Worten kam Albert Einstein, der gegen die Menschenrechtsverletzungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich protestiert hatte, am 28. März 1933 seinem Ausschluss aus der Akademie zuvor. Am 10. Mai 1933 fanden reichsweit Bücherverbrennungen von Schriften politisch Andersdenkender sowie jüdischer Autorinnen und Autoren statt. Darunter waren auch Einsteins Werke.
Nach einer ersten Reise in die USA 1931 entschied sich Einstein 1933 zur Auswanderung dorthin. Als international gefragter Wissenschaftler nahm er das Angebot einer Professur an der angesehenen Universität Princeton in den USA an.
Macht und Ohnmacht der Wissenschaft
1938 entdeckten Physiker in Berlin die Kernspaltung. Der in die USA ausgewanderte Physiker Leó Szilárd befürchtete, dass diese Entdeckung von den
Nationalsozialisten zum Bau von Atombomben genutzt werden könnte. Auf sein Drängen warnte Einstein den US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt in
einem Brief vom 2. August 1939 davor. In der Folge waren es
die USA, denen die Entwicklung der Atombombe durch das „Manhattan-Projekt“
gelang
–
ohne den Einfluss
Einsteins. Als sich im Frühjahr 1945 der Sieg über
den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, mahnte Einstein den
US-Präsidenten am 25. März 1945 vor den künftigen Gefahren von Atomwaffen. Die Abwürfe der Atombomben über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki durch die
US-Luftwaffe im August 1945 trafen Einstein schwer.
Eine Welt – oder keine
Nach dem verheerenden Abwürfen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki entstand 1946 die Schrift
„One World Or None“. Einstein und andere renommierte Wissenschaftler
warnten darin vor den Gefahren der atomaren Aufrüstung. Sie forderten eine friedliche Nutzung der Atomenegie. Hier zu sehen ist das Buchcover einer Neuauflage. Die Originalausgabe war ein Bestseller und verkaufte sich etwa 100 000 Mal. Einstein verzieh es sich nie, dass er zu Beginn des Zweiten Weltkrieges für den Bau
einer Atombombe geworben hatte.
Pazifist, Intellektueller, Ikone
Albert Einstein prägte auch die Rolle eines Intellektuellen, der sich in
vielen Bereichen engagierte. In den Jahren der nationalsozialistischen Besatzung
Europas setzte er sich für die Einreise politisch Geflüchteter in die USA ein. Die
Rassentrennung in den USA lehnte er nach den Erfahrungen von Rassismus und
Antisemitismus in seiner alten Heimat strikt ab. Im Magazin „Pageant“ schrieb er: „Ich kann
dem Gefühl der Komplizenschaft [kriminelle Gemeinsamkeit] nur entkommen, wenn
ich darüber spreche.“ Er hielt Vorlesungen für afroamerikanische Studierende
der Lincoln Universität in Pennsylvania. Der Einsatz für Frieden und Bürgerrechte
bis zum zivilen Ungehorsam machte Albert Einstein über seinen Tod am 18. April
1955 hinaus zu einer Leitfigur der Popkultur.
Wie kam es zum „Zungenfoto“?
Pressefotografen verfolgten Albert Einstein am Abend seines 72. Geburtstags am
14. März 1951 in Princeton bis zur Abfahrt im Auto. Entnervt streckte er die
Zunge heraus – und der Fotograf Arthur Sasse drückte auf den Auslöser seines
Apparats. Der Schnappschuss machte Einstein endgültig zur Freiheitsikone. Es stand für seine Bereitschaft, sich nicht anzupassen und Unrecht anzuklagen.
Präsident Israels?
1951 besuchte der damalige israelische Ministerpräsident David Ben Gurion Albert Einstein in Princeton. 1952 bot er ihm an, Präsident Israels zu werden – was Einstein aber dankend ablehnte.
Moritz Daniel Oppenheim
Ein selbstbewusstes jüdisches Bürgerpaar
Als Moritz Daniel Oppenheim 1825 nach seinen Aufenthalten in Frankreich und Italien nach Frankfurt zurückkehrte, war er ein erfolgreicher Mann – nicht zuletzt, da er zum Haus- und Hofmaler der Familie Rothschild aufstieg. Mit seinen „Bildern aus dem altjüdischen Familienleben“ gelang es ihm, auch dem nichtjüdischen Publikum Religion und Kultur des Judentums nahezubringen. Gleichzeitig zeigte er sich und andere jüdische Persönlichkeiten in seinen Porträts gern als selbstbewusste Mitglieder der deutschen Gesellschaft – so wie auf diesem Gemälde von 1829, auf dem Oppenheim sich und seine erste Frau Adelheid malte. 1851 erhielt Oppenheim das Frankfurter Bürgerrecht, was aber mit vielen Entbehrungen verbunden war. Das Bürgerrecht war in vielen Städten noch immer an den christlichen Glauben gebunden.
Schon gewusst? Was heißt ...
Rothschild: Die jüdische Familie Rothschild stammt aus dem Frankfurter Ghetto, der sogenannten Judengasse. Mayer Amschel Rothschild gründete um 1800 ein Bankhaus, das weltbekannt und sehr erfolgreich wurde. Neben Frankfurt gab es Niederlassungen in Wien, London, Paris und Neapel. Die Rothschilds spielten über das Finanzwesen hinaus eine bedeutende Rolle. Sie gestalteten unter anderem durch zahlreiche Stiftungen gesellschaftliche Teilbereiche wie Kultur, Gesundheits- und Verkehrswesen. Auch politisch und industriell engagierten sie sich.
Kraftvoll und selbstbewusst
Oppenheim malte das Gemälde „Moses mit den Gesetzestafeln“ 1817/18 mit 17 Jahren, während seiner Ausbildung in München. Mose gilt als Stifter der jüdischen Religion. Die Bibel berichtet, dass er das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten zurück in ihre Heimat geführt hat. Während dieser Wanderung schließt er einen Bund mit Gott und erhält von ihm wichtige Gesetze, allen voran die Zehn Gebote. Auf dem monumentalen Bild ist Mose mit den Gesetzestafeln dargestellt. Er wirkt kraftvoll und selbstbewusst. Oppenheim stellt einen starken Mose dar und will damit auch seinen jüdischen Zeitgenossen bei ihrem Kampf um Emanzipation Stärke vermitteln.
Schon gewusst? Was heißt ...
Emanzipation: Dieser Begriff meint so etwas wie „Befreiung“ oder auch „Gleichstellung“, hauptsächlich von Personengruppen, die rechtlich benachteiligt werden. Die jüdische Emanzipation beschreibt die Entwicklung von Jüdinnen und Juden von einer sozialen und religiösen Randgruppe zu rechtlich gleichgestellten Mitgliedern einer Gesellschaft.
Zelte
Im Hintergrund sind die Zelte zu sehen, in denen das Volk Israel während der Wanderung durch die Wüste gewohnt hat. Diese Reise dauerte laut Bibel vierzig Jahre.
Zehn Gebote
Die Bibel berichtet, dass Mose auf Steintafeln die Zehn Gebote erhalten hat. Sie regeln das Zusammenleben der Menschen untereinander und mit Gott.
Strahlen
Die Bibel berichtet, dass das Gesicht von Mose strahlte, als er von der Begegnung mit Gott zurückkehrte. Bei der Übersetzung des Textes ins Lateinische ist ein Fehler passiert und aus den Strahlen wurden Hörner. Deswegen ist Mose in der Kunst manchmal mit Hörnern dargestellt. Oppenheim konnte Hebräisch und hat seinen Mose mit Strahlen gemalt.
Jugendlichkeit
Oppenheim hat einen jungen Mann gemalt – kraftstrotzend, voller Leben, mit dunklen Haaren und durchdringendem Blick. In der christlichen Kunst taucht Mose dagegen oft als alter Mann mit weißem Bart auf.
Hebräische Schrift
Die Zehn Gebote sind auf Hebräisch geschrieben, der Sprache der Bibel. Mose zeigt auf das Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Das Judentum ist die erste monotheistische Religion (monos = allein, theos = Gott). Sie verehrt nicht viele, sondern einen Gott.
Maße des Bildes
Das Bild ist sehr groß, nämlich 217 x 149 cm. Oppenheim stellt Mose als monumentale Figur dar, ein Zeichen von jüdischem Selbstbewusstsein. Der Stil und das monumentale Format der Moses-Darstellung zielen darauf ab, die jüdische Tradition in die christlich geprägte Historienmalerei zu integrieren.
Kein Widerspruch – jüdische Tradition ...
Oppenheims
Gemälde „Die Rückkehr des jüdischen Freiwilligen aus den Befreiungskriegen zu
den nach alter Sitte lebenden Seinen“ (1833/34) zeigt einen jungen jüdischen
Soldaten, der zur Zeit der Befreiungskriege (1813–1815) für Preußen gegen die
Truppen Napoleons gekämpft hat und nun zu seiner Familie zurückkehrt.
... und deutscher Patriotismus
Details verraten, dass der Heimkehrer am Sabbat angekommen ist – am traditionellen jüdischen Ruhetag. Streng genommen verletzt er damit das wichtige Gesetz der Sabbatruhe. Während die Geschwister das nicht stört, blickt der Vater skeptisch auf seinen Sohn und das ihm für seinen Kriegsdienst verliehene Eiserne Kreuz am Bande – ein ursprünglich christliches Symbol. Auch die jüdischen Soldaten waren bereit, für das Land, in dem sie lebten, zu kämpfen – obwohl sie nicht die gleichen Rechte wie ihre nichtjüdischen Kameraden hatten.
Schon gewusst? Was heißt ...
Befreiungskriege: Bezeichnung des Kriegs der Koalition, bestehend aus Preußen, Österreich, Russland, Schweden und Großbritannien gegen Napoleons „Grande Armée“ aus deutscher Sicht. Bei vielen Deutschen – Juden und Nichtjuden – verstärkten diese Kriege den Wunsch nach nationaler Zusammengehörigkeit.
Säbel und Tschako
Säbel und Tschako (militärische Kopfbedeckung) des Heimkehrers
Misrach-Tafel
Sie zeigt die jüdische Gebetsrichtung gen Osten, in Richtung Jerusalem an.
Chanukkawandleuchter
Er wird für die Chanukkafeier
benötigt. Juden erinnern damit an die Rückeroberung des Tempels von
Jerusalem durch die Makkabäer in der Antike.
Öllampe für die Sabbatfeier
Im Judentum ist der Sabbat ein heiliger und arbeitsfreier Tag. Er beginnt jede Woche am Freitagabend und endet am Samstagabend.
Kiddusch-Becher
Ein Becher Wein und zwei meist geflochtene Festtagsbrote (Challot) gehören zur Sabbat-Zeremonie am Freitagabend. Nach einem Segensspruch über Wein und Brot, dem Kiddusch, folgt die eigentliche Sabbat-Mahlzeit.
Talmud
Der jüdische Gebetstext Talmud gibt Juden Antworten auf alle wichtigen Fragen ihres Glaubens.
Uniform
Die Uniform weist den Heimkehrer als Husar der Königlich Preußischen Armee aus. Das Eiserne Kreuz stiftete der preußische König für hervorragende Leistungen während der Kriege gegen Napoleon.
Gemälde Friedrich II.
Gemälde des Königs von Preußen, Friedrich II., „der Große“ genannt
Auf Oppenheims Spuren
Als Moritz Daniel Oppenheim 1882 in Frankfurt starb, blickte er auf ein langes Leben zurück. Es war geprägt durch den langen und schwierigen Prozess der Emanzipation. Er ist vielen berühmten Persönlichkeiten seiner Zeit begegnet, von zahlreichen fertigte er Porträts an. Seine Eltern ermöglichten ihm Bildung, sein Talent machte ihn zu einem erfolgreichen und populären Mann. Aber auch er wurde von Antijudaismus nicht verschont. 1824 nahm er an einem Zeichenwettbewerb in Rom teil und sollte den ersten Preis bekommen. Als bekannt wurde, dass es sich bei Oppenheim um einen jüdischen Künstler handelte, wurde ihm der Preis aberkannt. Trotz dieser Erfahrungen kam für Oppenheim nie infrage, sich zum Christentum zu bekehren und taufen zu lassen. Er blieb sein Leben lang seiner jüdischen Identität treu.
Schon gewusst? Was heißt ...
Antijudaismus: Die Bezeichnung „Antijudaismus“ meint Ablehnung und Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden, im Gegensatz zum Antisemitismus hauptsächlich aus religiösen oder wirtschaftlichen Gründen.
In Hanau verewigt
Der Bildhauer Robert Schad realisierte 2015 mit seinem Kollegen Pascal Coupot das Moritz Daniel Oppenheim-Denkmal „Moritz und das tanzende Bild“ auf dem Hanauer Freiheitsplatz, dem heutigen Forum Hanau.
Jüdisches Leben in Deutschland
Erinnerungskultur am Beispiel ButtenheimsWie geht ein Ort mit seiner jüdischen Geschichte um?
Dr. Tanja Roppelt, Leiterin des Levi-Strauss-Museums in Buttenheim
Austellungsraum 5
Anni Albers
Eine BauhausfrauAnni Albers
Von dieser modernen Kunstschule erhoffte sie sich in ihrer beruflichen Entfaltung Gleichberechtigung. Aber das war ein Irrtum. Albers wurde in der Weberei eingesetzt, wie viele ihrer Kolleginnen. Sie fand diese Tätigkeit „weibisch“, doch dann entdeckte sie ihre Leidenschaft für das alte Handwerk. Das Foto zeigt Albers (rechts unten, kniend) mit der Webereiklasse am Bauhaus Dessau um 1927.
Schon gewusst? Was heißt ...
Bauhaus: Das Bauhaus war eine Schule für Kunst und Architektur, und orientierte sich an den Bedürfnissen der Menschen. Die Gestaltung der Gebäude und die Inneneinrichtung sollten zweckmäßig, einfach zu nutzen und preiswert sein.
Das Bauhaus – Lebensgefühl der Moderne
Das Bauhaus – Lebensgefühl der Moderne
Anfangs gab es mehr weibliche als männliche Studierende. Meister und Lehrlinge lebten und arbeiteten eng zusammen. Sie feierten gern, vor allem Kostümfeste. Mit den Jahren fürchteten einige Männer die Konkurrenz der begabten Frauen. So änderte das Aufnahmegremium, das aus Männern bestand, die Regeln. Seither studierten deutlich mehr Männer als Frauen am Bauhaus. Nach erfolgreichen Jahren in Dessau zog das Bauhaus 1932 nach Berlin. Dort löste es sich 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten auf.
Schon gewusst? Was heißt ...
Freie und angewandte Kunst: Lange Zeit wurden Kunstwerke in zwei Kategorien unterteilt. Werke der freien Künste, etwa ein Gemälde oder eine Skulptur, können betrachtet, analysiert und diskutiert werden. Angewandte Kunstwerke hingegen werden benutzt. Beispiele dafür können ein Möbelstück oder eine Vase sein. Lange Zeit hielt man die freien Künste für hochwertiger als die angewandten. Diese Auffassung begann sich Mitte des 19. Jahrhunderts zu ändern.
Vom Bauhaus in die Welt
Am Bauhaus fand Anni Albers ihre große Liebe, den Maler Josef Albers. Sie heirateten 1925. Die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 veränderte auch ihr Leben grundlegend. Das Paar wanderte in die USA aus. Dort arbeiteten beide an der angesehenen Kunsthochschule „Black Mountain College“ in North Carolina, die das Bauhaus zum Vorbild hatte. Anni Albers entwickelte dort ihre Webkunst weiter. Sie arbeitete auch als Druckgrafikerin und Schmuckdesignerin. Sie verstarb 1994 in den USA.
Ein Webteppich erinnert an die Opfer des Holocaust
Ein Webteppich erinnert an die Opfer des Holocaust
Erst in den USA beschäftigte sich Albers mit jüdischen Themen. Sie fertigte einige Thoravorhänge an. Hinter solchen Vorhängen befindet sich das Zentrum der Synagoge, der Schrein mit den Thorarollen. Mitte der 1960er-Jahre beauftragte das Jüdische Museum in New York Albers damit, eine Textilarbeit anzufertigen. Die Arbeit sollte an die sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden erinnern, die während des Holocaust oder der Schoah ermordet worden waren. Diese Arbeit trägt den Namen „Six Prayers“ („Sechs Gebete“) und gilt als ein Hauptwerk von Anni Albers.
Schon gewusst? Was heißt ...
Synagoge: Haus der Versammlung, des Gebets und der Lesung aus der Thora. Die Synagoge war und ist religiöser, sozialer und kultureller Mittelpunkt einer jüdischen Gemeinde.
Thora: Das wichtigste Schriftstück des Judentums ist die Thora. Dieser Name hat zwei Bedeutungen: Erstens bezeichnet Thora die Regeln, die Jüdinnen und Juden als Gesetze Gottes verstehen und die sie in ihrem Leben verwirklichen sollen. Zweitens sind damit die „Fünf Bücher Mose“ gemeint. Die Thora bildet zusammen mit den Schriften und Aussagen der Propheten die hebräische Bibel. Sie wird bis heute in Form einer Schriftrolle in der Synagoge aufbewahrt.
Holocaust: Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet „völlig verbrannt“. Der Begriff steht für den Völkermord an den rund sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus.
Schoah/Shoa: Das Wort kommt aus dem Hebräischen und bedeutet „Unheil“ oder „Katastrophe“. Auch dieser Begriff steht für den Völkermord an den rund sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus.
Maße
186,1 × 297,2 cm
Material
Baumwolle, Leinen, Bast und Silberfaden
Farben
Graue, braune und beigefarbene Fäden, Akzente durch silbernes Metallgarn, weiße und schwarze Fäden eingewoben. In jeder Stoffbahn dominiert eine Farbe.
„Six Prayers“
Die sechs Stoffbahnen stehen für die rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die während des „Holocaust“ oder der „Schoah“ ermordet worden waren. Die Stoffbahnen erinnern an jüdische Gebetsschals (six prayers = „sechs Gebete“ oder „sechs Betende“).
Abstraktion
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandte sich die Kunst mehr und mehr vom Abbilden des Sichtbaren ab. Auch bei „Six Prayers“ lassen sich keine Gegenstände oder Figuren erkennen. Vielmehr sollen durch Farben und Formen Stimmungen und Gefühle vermittelt werden.
Linien und Wellen
Albers benutzt die Fäden, um den Effekt von Schriftzeichen zu erzeugen, von heiligen Texten, von Gebeten. Gleichzeitig stehen sie für die vielen miteinander verwobenen und auch voneinander getrennten und erloschenen Leben. An sie soll das Kunstwerk erinnern.
Handwerk = KunstEine Wegweiserin
Albers steht für die Emanzipation der Frau in Studium und Beruf und für ein innovatives Kunstverständnis. Gleichzeitig ist sie eine der vielen Künstlerinnen und Künstler, die wegen ihrer jüdischen Herkunft 1933 ihre Heimat verlassen musste. (Im Bildhintergrund: Arbeiten von Anni Albers im Tate Modern Museum in London, 2018.)
Jüdisches Leben in Deutschland heute: jüdische Kunst und Kultur in Deutschland heute
Jüdisches Kulturleben in Deutschland heuteIn der Gegenwart angekommen
Ab dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 kamen Zehntausende Jüdinnen und Juden nach Deutschland. Auch dank dieser Zuwanderung haben die jüdischen Gemeinden in Deutschland heute etwa 100 000 Mitglieder. Zusammen mit jungen Menschen aus Israel geben sie der jüdischen Kultur Kreativität und Impulse. Die verschiedenen Prägungen sorgen mitunter aber auch für Spannungen. Die Sensibilität vor antisemitischen Anfeindungen ist groß.
Viele junge jüdische Künstlerinnen und Künstler wollen Teil der deutschen wie der jüdischen Kultur sein und stellen dies auf vielerlei Art dar. Vielfalt und Diversität sind Schlagworte, die auch auf die jüdische Kultur zutreffen. In Deutschland leisten jüdische Gemeinden und Museen, Volkshochschulen und Kulturveranstaltungen wichtige Beiträge zur Vermittlung und Darstellung jüdischer Kultur und Geschichte.
Historische Einführung
Das Zentrum der bürgerlichen Familie
Jüdische Frauen vermittelten ihren Kindern das Judentum, bereiteten die Feiertage vor und kümmerten sich um das Einüben bürgerlicher Normen.
Der Ehemann war vor allem für den Unterhalt verantwortlich. Dieser Holzstich zu einer Erzählung des deutsch-jüdischen Schriftstellers Salomon Hermann Mosenthal (1821–1877) nach einer Zeichnung von Moritz Daniel Oppenheim (1800–1882) zeigt eine jüdisch-bürgerliche Familie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Mehr Bildung und neue Möglichkeiten
In der bürgerlichen Frauenbewegung waren auch jüdische Frauen aktiv, besonders in den Bereichen Bildung und Sozialarbeit. Da auch die jüdische Tradition das Häusliche
und Familiäre den Frauen zugewiesen hatte, lag es nahe, dass emanzipierte
Jüdinnen Berufe in diesen Bereichen wählten. Ab Ende des 19. Jahrhunderts
erhielten immer mehr jüdische Mädchen und Frauen Zugang zu Bildung und
Berufstätigkeit. Der Anteil jüdischer Abiturientinnen und Studentinnen, die
einen Abschluss machten, war sehr hoch. So eröffneten sich
ihnen neue Möglichkeiten. Zugleich blieben
in den meisten jüdischen Familien des Bürgertums die traditionellen Rollenbilder bestehen: Die Frau war für die Organisation des Haushalts und die Erziehung der
Kinder zuständig – auch wenn sie einen Beruf hatte.
Frauen in der Weimarer Republik (1919–1933) Neue Möglichkeiten
Der weibliche Lebensstil erlebte vor allem in Großstädten einen Wandel. Immer mehr Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft übten einen Beruf aus. Sie konnten für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und traten in der Öffentlichkeit selbstbewusster auf. Das zeigte sich vor allem in der Mode: Statt einengender Korsetts zeigten sie mehr Bewegungsfreiheit durch Hosen, knielange Trikotkleider und pflegeleichtere Kurzhaarfrisuren, den „Bubikopf“.
Immer mehr Frauen, gerade in den Großstädten, besuchten weiterführende Schulen und immer mehr von ihnen studierten. Nach dem Studium dominierte aber zumeist weiterhin das traditionelle Rollenbild als Ehefrau, Hausfrau und Mutter – besonders nach einer Eheschließung.
Henriette Goldschmidt
Frühe Prägung
Henriette Goldschmidt kam 1825 als sechstes von acht Kindern in Krotoschin in der preußischen Provinz Posen zur Welt. Ihre Mutter, Eva Benas, verstarb früh. Ihre Stiefmutter empfand Goldschmidt als kalt und distanziert. Dadurch schlussfolgerte sie später, dass Mütterlichkeit den Frauen nicht angeboren ist. Goldschmidt begann, sich für weibliche Ausbildungsmöglichkeiten zu interessieren.
Begrenzte Bildungsmöglichkeiten
Das Bildungsangebot war in bürgerlichen Familien sehr unterschiedlich: Söhne durften Gymnasium und Universität besuchen, für Töchter
waren sie hingegen nicht geöffnet. Es gab spezielle Schulen für Mädchen. Sie
bildeten aber vor allem für eine spätere Ehe und die Haushaltsführung aus.
Berufliche Möglichkeiten für Frauen, die nicht heirateten, gab es nur wenige.
Sie konnten zum Beispiel als Lehrerin an einer Mädchenschule oder in der
Pflege arbeiten. Heirateten sie, mussten sie ihren Beruf meistens wieder aufgeben.
Engagement in der Jugendarbeit
Doch Goldschmidt erhielt zuhause Anregungen: Ihr Vater, der jüdische Kaufmann Levin Benas, hatte eine Bibliothek, las Zeitung und diskutierte mit den Kindern. Er stand den Ideen der 1848er-Revolution nahe. Mit dem Umzug der Familie nach Posen 1850 lernte die bürgerliche Henriette Probleme von Arbeiterfamilien und wohltätige Hilfsangebote kennen. Sie engagierte sich nach der Schule ehrenamtlich in der Betreuung armer Kinder.
Henriette Goldschmidt war von der Universitätsstadt begeistert. Leipzig – hier in einer Stadtansicht aus dem 19. Jahrhundert – bot ihr geistige Anregungen, bürgerschaftliches Engagement und ein lebhaftes deutsch-jüdisches Vereinsleben. In Leipzig wirkte auch die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters.
Ein neuer Lebensmittelpunkt
1853 heiratete Henriette Goldschmidt den Rabbiner Dr. Abraham Meier Goldschmidt
(1812–1889). Er war ihr Cousin, 13 Jahre älter, verwitwet und Vater von drei
Kindern. Sie zogen 1858 nach Leipzig, weil Abraham Goldschmidt eine Stelle
als Rabbiner in der dortigen jüdischen Gemeinde antrat.
Henriette
Goldschmidt war von der Universitätsstadt begeistert. Leipzig – hier in einer Stadtansicht aus dem 19. Jahrhundert
– bot ihr geistige
Anregungen, bürgerschaftliches Engagement und ein lebhaftes deutsch-jüdisches
Vereinsleben. In Leipzig wirkte auch die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters.
Teil des Bildungsbürgertums
Abraham Goldschmidt lebte und lehrte ein liberales Judentum. Auch er sympathisierte mit den Ideen der 1848er-Revolution. Er predigte auf Deutsch, was traditionelle Gemeinden ablehnten. Abraham Goldschmidt war gebildet und auch in christlichen Kreisen angesehen. Er trat als Festredner auf, etwa bei Gedenkfeiern für die bekannten Dichter Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) oder Friedrich Schiller (1759–1805). Das Ehepaar gehörte zum Leipziger Bildungsbürgertum und war überzeugt von einem christlich-jüdischen Miteinander auf der Basis von Toleranz und Aufklärung: Dass Menschen durch den Gebrauch ihrer Vernunft und persönliche Begegnungen ihre Vorurteile gegen andere Religionen überwinden können.
Schon gewusst? Was heißt ...
Liberales Judentum: Das liberale Judentum, auch Reformjudentum, hat sich Ende des 18. Jahrhunderts herausgebildet. Es zeichnet sich durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion aus. Die Heilige Schrift ist die historische Grundlage des reformierten jüdischen Glaubens. Doch es verweist auch auf die Pflicht, historische Vorstellungen aufzugeben und die vom Menschen niedergeschriebenen Schriften und Gebote anzupassen. Jüdische Tradition soll mit moderner Kultur in Einklang gebracht werden.
Schon gewusst? Was heißt ...
Rabbiner: Das Wort bedeutet „Meister“ oder „mein Lehrer“. Rabbiner sind Gelehrte und Lehrer des Judentums und arbeiten in einer jüdischen Gemeinde. Sie haben viele Jahre mit dem Studium der Thora und des Talmuds verbracht. Rabbiner legen für Gemeindemitglieder aus, wie religiöse Fragen des Judentums (Interpretation und Anwendung der Thora) im Einzelfall zu verstehen sind. Ab dem 19. Jahrhundert wurde eine universitäre Bildung für die Rabbinerausbildung in Westeuropa immer wichtiger.
Der Verein forderte mehr Bildungsmöglichkeiten, verbesserte Arbeitsbedingungen und Anstellungschancen für Frauen sowie Abendschulen und Fortbildungskurse auch für Arbeiterinnen. Fernziele waren Handels- und Wirtschaftsschulen für Mädchen und das Frauenwahlrecht. Im „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ war Goldschmidt von 1867 bis 1906 im Vorstand tätig und eine gefragte Rednerin.
Mitglieder der Frauenbewegung
Die „Berliner Illustrierte Zeitung“ stellte auf ihrem Titelblatt von 1896 Vorkämpferinnen der Frauenbewegung vor. Darunter war auch Henriette Goldschmidt (links oben).
Eine Frauenrechtlerin
1865 stellten die Goldschmidts ihr Haus für die Gründung des
„Leipziger Frauenbildungsvereins“ zur Verfügung. Wenig später lud der Verein
zur ersten „Allgemeinen Deutschen Frauenkonferenz“, wo die Gründung des
„Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ beschlossen wurde. Zu den Gründerinnen gehörten auch Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt (1833–1902).
Der Verein
forderte mehr Bildungsmöglichkeiten, verbesserte Arbeitsbedingungen
und Anstellungschancen für Frauen sowie Abendschulen und Fortbildungskurse auch für Arbeiterinnen. Fernziele waren Handels- und Wirtschaftsschulen für Mädchen und das
Frauenwahlrecht. Im „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ war Goldschmidt von 1867 bis 1906 im Vorstand tätig und eine gefragte Rednerin.
Eine Pionierin in der SozialpädagogikBessere Bildung für Frauen
1911 gründete Goldschmidt mit Unterstützung von Leipziger Bürgerinnen und Bürgern eine „Hochschule für Frauen“. Sie stand aber nicht in Konkurrenz zu den mittlerweile für Frauen geöffneten Universitäten. Klassische Frauenberufe, zum Beispiel den der Krankenpflegerin, erhielten in der neuen Hochschule durch akademische Lehrveranstaltungen eine Aufwertung.
Goldschmidt starb 1920. Nach ihrem Tod wurde die Hochschule als „Sozialpädagogisches Frauenseminar Leipzig“ weitergeführt. Ab der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurden jüdische Mädchen und Frauen dort nicht mehr zugelassen. Die Erinnerung an die Gründerin der Schule wurde lange unterdrückt.
Seit 1992 ist die „Henriette-Goldschmidt-Schule“ das berufliche Schulzentrum der Stadt Leipzig. Frauen und Männer können dort heute eine Ausbildung in sozial- und heilpädagogischen Berufen machen.
Henriette Goldschmidt – traditionell ...
Trotz ihrer liberalen Prägung im Elternhaus war Henriette Goldschmidt eine konservativ denkende Frau. Die traditionelle Rollenaufteilung der bürgerlichen Familie stellte sie nicht infrage. Selbst kinderlos, zog sie ihre Stiefsöhne groß und bezeichnete die Erziehung
als „eigentlichen, natürlichen Beruf“ der Frau. Sie glaubte, dass Frauen aufgrund eines gottgegebenen Geschlechtergegensatzes
für soziale Aufgaben bestimmt seien.
... und aktuell
Viele von Goldschmidts Beobachtungen sind bis heute aktuell. So zeigte sie schon 1877 den Zusammenhang von „materieller Not und schlechter Erziehung“ auf, dass also Kinder aus bildungsfernen Familien oft keine gute Ausbildung erhalten und dadurch ein hohes Risiko für Altersarmut haben, besonders Frauen.
Frauen
Alice Salomon
Mit 21 Jahren begann, wie sie später schrieb, ihr „eigentliches Leben“: Bei der Gründungsversammlung der „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit” kam sie in Kontakt mit Berliner Bürgerinnen, die sich um Kinder aus weniger bevorzugten Familien kümmerten. Salomon unterstützte Arbeiterinnen und Mädchen aus schwierigen Verhältnissen und half mit in einem Mädchenhort. 1899 übernahm sie den Vorsitz.
Fürsorge für Schwache und Bedürftige
Eine Werbepostkarte der „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ von 1914
Alice Salomon – Herkunft und Prägung
Alice Salomon kam 1872 als
fünftes von sieben Kindern einer
wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie in Berlin zur Welt. In ihrer assimilierten Familie wurde der jüdische Glaube kaum mehr gelebt. Nach
dem Tod der Mutter ließ sie sich 1914 protestantisch taufen.
Mit 21 Jahren begann, wie sie später schrieb, ihr „eigentliches Leben“: Bei der Gründungsversammlung der
„Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit” kam sie in Kontakt mit Berliner
Bürgerinnen, die sich um Kinder aus weniger bevorzugten Familien kümmerten. Salomon unterstützte
Arbeiterinnen und Mädchen aus schwierigen Verhältnissen und half mit in einem
Mädchenhort. 1899 übernahm sie den Vorsitz.
Schon gewusst? Was heißt ...
Assimilation: Bedeutet „Angleichung“ oder „Anpassung“. Assimilierte Jüdinnen und Juden versuchten, sich durch Übernahme von Verhaltensnormen und Lebensweisen an die christliche Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Religiöse Belange traten dabei oft in den Hintergrund, die staatsbürgerliche Identifikation in den Vordergrund.
Salomon engagierte sich auch im „Internationalen Frauenbund“. Die Konferenzen dienten dem regelmäßigen Austausch über gemeinsame Anliegen: Friedensprojekte, Frauenrechte (besonders das Frauenwahlrecht), qualifizierte Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen.
Engagement und erlebte Ausgrenzung
Mit nur 28 Jahren war Alice Salomon eine wichtige Akteurin der bürgerlichen Frauenbewegung. Ab 1900 war sie im Vorstand des „Bundes deutscher Frauenvereine“, der Dachorganisation der deutschen Frauenbewegung. 1917 war sie als Nachfolgerin der ersten Vorsitzenden vorgesehen. Wegen der antisemitischen Strömungen in dieser Zeit rieten ihr führende Mitglieder des Vereins von einer Kandidatur ab.
International aktiv
Salomon war auch in der internationalen Frauenbewegung aktiv. Über neue Ideen zur Sozialarbeit in England hatte sie sich
informiert und dort Einrichtungen besucht. Seither sprach sie fließend
Englisch, damals eine Seltenheit.
Salomon engagierte sich auch im „Internationalen Frauenbund“. Die Konferenzen dienten dem
regelmäßigen Austausch über gemeinsame Anliegen: Friedensprojekte, Frauenrechte
(besonders das Frauenwahlrecht), qualifizierte Bildungs- und
Erwerbsmöglichkeiten für Frauen.
Die Soziale Frauenschule
1906 promovierte Alice Salomon zum Doktor der Volkswirtschaftslehre, ohne Abitur
und Studium. Ihre vielen Veröffentlichungen (Bücher und Hunderte von Artikeln) erkannte die Universitätsleitung als Ersatz an. Salomon war 1908 Mitgründerin und bald auch Leiterin der
„Sozialen
Frauenschule“ in Berlin. Dort erhielten junge Frauen für die Dauer von zwei Jahren eine professionelle Ausbildung in der Betreuung von sozial oder gesundheitlich Hilfsbedürftigen. Das Foto zeigt Salomon (Bildmitte, in schwarzer Kleidung) mit ihren Schülerinnen um das Jahr 1915.
Der Beruf als Herzensangelegenheit
Salomon war es wichtig, „Schülerinnen auf eine Arbeit vorzubereiten,
die nicht nur die Leistung, sondern auch die Gesinnung schätzt; für die der
Zustand der Seele nichts Gleichgültiges, oder Nebensächliches“ war. Die Schule
solle daher „nicht nur die Methoden der Pädagogik, die Technik sozialer Arbeit
lehren“, also „nicht nur Wissen vermitteln, sondern eine Pflanzstätte sozialer
Gesinnung werden.“ Die
Arbeit sollte nach Salomon echte Herzensangelegenheit sein, nicht nur das
Ausführen einer erlernten Tätigkeit.
Mehr Bildung und bessere Ausbildung für FrauenEine Akademie für Frauenarbeit
Salomon, hier auf einem Foto um das Jahr 1915, verfasste wichtige Schriften zu Theorie und Praxis der Wohlfahrtspflege sowie des Mutter- und Arbeiterinnenschutzes. Krankenpflege und Kinderbetreuung hatten lange Zeit als Frauendomäne gegolten und wenig Beachtung gefunden. Salomon machte daraus professionelle und ausbildungspflichtige Berufe.
Flucht vor dem NS-Regime Wendepunkt ihres Lebens
Nach der Machtübernahme 1933 entzogen die NS-Behörden Salomon alle Titel, öffentlichen Ämter und die deutsche Staatsbürgerschaft. 1937 stellten sie die Behörden vor die Wahl: Ausreise oder Konzentrationslager. Salomon konnte somit entkommen. Vom Verlust ihrer Heimat und ihrer beruflichen Existenz erholte sie sich nicht mehr. Ihr war bewusst, dass alles an ihrer Person den Nationalsozialisten missfiel: „Ich war von jüdischer ‚Rasse‘; ich gehörte der kämpfenden protestantischen Kirche an; ich war eine progressive Frau, international eingestellt und daher pazifistisch.“
Salomons Leben in den USA Schwere letzte Jahre
Person und Lebenswerk von Alice Salomon gerieten lange Zeit in Vergessenheit. Die Aberkennung ihrer Doktortitel wurde erst 1998 widerrufen. Ihre Memoiren erschienen 1983. In der pädagogischen Fachwelt werden ihre Schriften heute gewürdigt und Schulen nach ihr benannt.
Salomon entstammte einem jüdisch-bürgerlichen Milieu, wo Heirat, Familiengründung und Familienarbeit als traditionelle Betätigungsfelder der Frau galten. Doch Salomon lebte konsequent als ledige, kinderlose und kosmopolitische Frau. Ein damals seltenes und mutiges Rollenmodell.
Alice Salomon – ideenreich ...
Alice Salomon setzte als
Sozialreformerin
Maßstäbe. Ihre Einrichtungen und
Organisationen trugen dazu bei, weibliche Fürsorgetätigkeit als
modernen Beruf zu etablieren – mit geregelter Ausbildung und Gehalt.
Salomon entstammte einem jüdisch-bürgerlichen Milieu,
wo Heirat, Familiengründung und Familienarbeit als traditionelle Betätigungsfelder der Frau galten.
Doch Salomon lebte konsequent als ledige, kinderlose und kosmopolitische Frau. Ein
damals seltenes und mutiges Rollenmodell.
... und aktuell
Noch heute bekommen Frauen für die gleiche Arbeit viel zu oft ein geringeres Gehalt als ihre männlichen Kollegen. Dieses Problem hatte Alice Salomon schon 1906 in ihrer Doktorarbeit analysiert: „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. Die ungleiche Entlohnung war auch für Salomon eine Ungerechtigkeit. Sie nahm Frauen aber auch in die Pflicht, geringerer Ausbildung und kürzerer Berufsdauer selbst entgegenzuwirken.
Jüdisches Leben in Deutschland heute
Historische Einführung
Die rechtliche Gleichstellung der deutschen JudenEin langer und steiniger Weg
1804 krönte sich Napoleon zum „Kaiser der Franzosen“. Er führte Kriege um die Vorherrschaft in Europa. In einigen deutschen Staaten, die seine Armee erobert hatte, führte er das französische Gesetzbuch ein, den Code civil. Es garantierte Errungenschaften der Revolution, etwa die Gleichheit vor dem Gesetz und die freie Religionsausübung.
Unter Napoleon erhielten Juden so erstmals die gleiche rechtliche Stellung wie Christen. In den meisten deutschen Staaten gab es für Juden aber weiterhin viele Einschränkungen.
Gewalt statt Reformstimmung
Im Sommer 1819 kam es in mehreren deutschen Städten – wie hier in Frankfurt am Main – zu Plünderungen und Misshandlungen an Jüdinnen und Juden, den sogenannten Hep-Hep-Unruhen. Kleinbürgerliche Gruppen, aber auch Handwerker, Kaufleute und Bürger bekämpften die Gleichstellung der Juden.
Erste Reformen, aber auch gleichgestellt?
Im Zuge weitreichender Reformen verlieh der preußische Staat den jüdischen Bewohnern 1812 den Bürgerstatus. Obwohl dies mit einer Gleichstellung an Rechten und Pflichten verbunden war, beinhaltete es nicht das Recht zum Staatsdienst in Verwaltung, Justiz oder dem Offizierskorps. Dennoch brachten Juden 1813 ihr staatsbürgerliches Verständnis zum Ausdruck, indem sie sich in den Befreiungskriegen gegen Napoleon als Freiwillige meldeten. In seiner Darstellung „Auszug der ostpreußischen Landwehr ins Feld 1813 nach deren Einsegnung in der Kirche“ widmete sich der Maler Gustav Graef Mitte des 19. Jahrhunderts diesem Thema. Am rechten unteren Bildrand setzte er einen jüdischen Freiwilligen in Szene, der sich von seinen Eltern verabschiedet.
Schon gewusst? Was heißt ...
Befreiungskriege: Bezeichnung des Kriegs der Koalition, bestehend aus Preußen, Österreich, Russland, Schweden und Großbritannien gegen Napoleons „Grande Armée“ aus deutscher Sicht. Bei vielen Deutschen – Juden und Nichtjuden – verstärkten diese Kriege den Wunsch nach nationaler Zusammengehörigkeit.
Die rechtliche Gleichstellung der deutschen JudenKampf um Bürgerrechte
Die Anhänger der Revolution wollten durch eine Verfassung die Macht der Herrscher einschränken oder sogar abschaffen. Sie forderten auch einen einheitlichen demokratischen Nationalstaat. Die Ziele der Revolution gaben den deutschen Juden Anlass, auf vollständige Gleichstellung zu hoffen.
Am ersten frei gewählten deutschen Parlament, der Nationalversammlung in Frankfurt am Main, nahmen auch jüdische Politiker teil. Hunderte waren in Bürgervereinen oder städtischen Ämtern politisch aktiv.
Die rechtliche Gleichstellung der deutschen JudenGleichberechtigt, aber auch akzeptiert?
Zu dieser Zeit lebten etwa 510 000 Jüdinnen und Juden im Deutschen Kaiserreich. Das waren etwas mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung.
Ausstellungsraum 1
Heinrich Heine
Begeistert von den Errungenschaften der Französischen Revolution
Heinrich Heine kam am 13. Dezember 1797 als Harry Heine in Düsseldorf zur Welt. Er war das älteste von vier Kindern des jüdischen Textilkaufmanns Samson Heine und dessen Ehefrau Elisabeth. Heine und seine Geschwister wuchsen in einem von der jüdischen Aufklärung geprägten Elternhaus auf. Düsseldorf war während Heines Kindheit und Jugend von französischen Truppen besetzt. Der von Napoleon eingeführte Code civil entfaltete auch dort seine Wirkung: Er brachte für Juden erstmals die rechtliche Gleichstellung, wofür Heine den französischen General und Kaiser bewunderte.
Ein bleibender Eindruck
Im Alter von 13 Jahren erlebte Heine 1811 den Einzug Napoleons in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Dieses Ereignis, hier festgehalten in einem zeitgenössischen Aquarell von Johann Petersen, verarbeitete Heine später literarisch.
Schon gewusst? Was heißt ...
Jüdische Aufklärung: Unter Juden verbreitete sich ab Ende des 18. Jahrhunderts eine neue geistige Bewegung – die „Haskala“ (jüdische Aufklärung). Ihre Anhänger bejahten die Ideale der europäischen Aufklärung. Sie wollten die jüdische Welt mit der nichtjüdischen verbinden. Juden sollten demnach nicht nur die jüdische Kultur kennen, sondern auch eine weltliche Bildung anstreben.
Heines Schulzeit und Lehrjahre Erste Gehversuche in der Ferne
Dort lernte er die französische Sprache und Literatur kennen. Schon während seiner Schulzeit und später im Studium erfuhr Heine auch Ausgrenzung aufgrund seiner jüdischen Herkunft. Das Lyzeum verließ er 1814 ohne Abschlusszeugnis, wie es allerdings für viele Schüler zu dieser Zeit üblich war.
Eine Kaufmannslehre, die er nach kurzer Zeit wieder aufgab, führte ihn nach Frankfurt am Main. Danach ging er nach Hamburg, wo er bei seinem wohlhabenden Onkel Salomon Heine den Beruf des Bankkaufmanns lernte. Seither finanzierte Salomon Heine seinen Neffen und ermöglichte ihm die Gründung eines Tuchwarengeschäfts, das aber nach wenigen Monaten pleiteging. Zu dieser Zeit hatte Heine bereits erste Gedichte verfasst.
Heines Übertritt zum ChristentumEndlich anerkannt?
Mit dem Übertritt zum Christentum wollte Heine vor allem seine Anstellungschancen als Jurist erhöhen, was ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht möglich war. Doch auch die Taufe nützte ihm nichts. Vergeblich bewarb er sich um eine Anstellung als Anwalt oder als Professor. Seinem Freund Moses Moser gestand er 1826: „Ich bereue sehr, dass ich mich getauft habe; ich seh noch gar nicht ein, dass es mir seitdem besser gegangen sei; im Gegenteil, ich habe seitdem nichts als Unglück.“
Trotz Taufe fühle sich Heine sein Leben lang mit dem Judentum verbunden. Viele Gedichte und sein historischer Roman „Der Rabbi von Bacherach" (1822/40) zeugen davon.
Mit Mut und Spott gegen die Obrigkeit
Unter den politischen Zuständen im Deutschen Bund litt Heinrich Heine. Als Schriftsteller forderte er das Recht, sich frei zu äußern. Doch seine Schriften, in denen er oft die Gedanken von Freiheit und Gleichheit niederschrieb, ließen die deutschen Fürsten und Könige oft zensieren. Seinen Ärger darüber machte er öffentlich Luft: In seinen „Reisebildern" von 1827 schrieb er ein ganzes Kapitel mit Spiegelstrichen voll – mit Ausnahme von zwei Wörtern: „Die deutschen Zensoren“ und „Dummköpfe“.
Schon gewusst? Was heißt ...
Zensur: von staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle von Druckwerken
Der Verlust der Heimat
Als Moritz Daniel Oppenheim 1831 Heinrich Heine malte, war er ein erfolgreicher Dichter, Schriftsteller und Journalist, bekannt im Deutschen Bund und in Europa. Der liberale und für viele spöttische Geist seiner Schriften brachte ihm in der Öffentlichkeit einerseits Anerkennung und Bewunderung, andererseits schlug ihm dafür auch Hass entgegen. Den Anfeindungen seiner Person und der Zensur seiner Werke war Heine überdrüssig. Er emigrierte 1831 nach Paris und beschäftige sich dort als Korrespondent mit politischen Tagesfragen.
Wanderer zwischen den Welten
In Frankreich war er Deutscher, ein Ausländer, nicht der Jude, und konnte „freie Luft“ atmen, wie er es formulierte. Mit seinen Schriften – Essays, politische Artikel, Gedichte, Prosa – wurde er ein Kulturvermittler zwischen den Nationen: Den Franzosen brachte er die deutsche Kultur nah, den deutschen Lesern die französische. Aus dem Pariser Exil kritisierte Heine weiterhin die konservativen politischen Verhältnisse in seiner Heimat. Das Verbot all seiner bestehenden und künftigen Werke im gesamten Deutschen Bund 1835 war die Folge.
Die letzten Jahre im Pariser ExilDie Heimat im Herzen
[...]
„Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.“
[...]
Heine starb 1856 nach langer Krankheit in Paris. Das Gemälde von Ernst Kietz enstand 1851. Es zeigt den gebrechlichen Dichter mit seiner Ehefrau Mathilde.
Historische Einführung
Deutsche Juden – endlich integriert? Aufstieg ins Bürgertum
Der Handel mit Waren des alltäglichen Gebrauchs, auf den Juden in der Zeit vor der Industriellen Revolution abgedrängt worden waren, wuchs im 19. Jahrhundert fulminant. Je mehr die Beschränkungen in der Wirtschaft fielen, desto mehr Chancen boten sich ihnen.
Vielen Juden gelang der Aufstieg ins Bürgertum – und sie gestalteten die deutsche Gesellschaft mit, in der sie lebten: Sie arbeiteten in Handel und Industrie, waren Selbständige, Angestellte, Journalisten, Ärzte oder Wissenschaftler. Einige wenige gründeten Zeitungs- und Literaturverlage oder errichteten moderne Warenhäuser.
Ihre Erfolge teilten jüdische Bürgerinnen und Bürger oft mit der Gesellschaft. Sie waren Stifter und Sponsoren – für Armen- und Krankenhäuser, Universitäten, Kunstsammlungen und Sportvereine.
Zuwanderung in die Industriezentren
Auch jüdische Unternehmer und Bankiers nutzten die Chancen
der Industriellen Revolution und investierten unter anderem in den Ausbau des
Eisenbahnnetzes (hier im Bild die 1838 fertiggestellte Eisenbahnstrecke
Berlin–Potsdam).
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zog es immer mehr
jüdische Familien in die wachsenden Industriestädte. Die rechtliche
Gleichstellung, die in den deutschen Staaten voranschritt, erleichterte dies.
Jüdinnen und Juden besaßen nun immer häufiger das Recht, sich am Ort ihrer Wahl
niederlassen zu können.
Selbstbewusste Bürger
Vom Buchhandelsgehilfen zum Medienunternehmer – der
deutsch-jüdische Verleger Rudolf Mosse (1843–1920, zweiter von rechts) auf
einem Foto von 1891 mit seinen Brüdern (v.l.n.r.) Albert, Salomon, Paul, Emil,
Theodor und Max. Sie machten im Deutschen Kaiserreich unter anderem als
Apotheker, Jurist oder Textilhändler Karriere.
Bildung – ein Schlüssel zum Erfolg
Bildung war in jüdisch-bürgerlichen Familien sehr wichtig. Weit über den allgemeinen Durchschnitt hinaus besuchten jüdische Schüler und auch Schülerinnen weiterführende Schulen. Damit eröffneten sich ihnen neue Möglichkeiten: ein Studium und eine Karriere in den „freien Berufen“ (zum Beispiel als Arzt, Anwalt oder Journalist) oder in der Industrie. In hohe staatliche Ämter hatten sie im Kaiserreich kaum Zugang.
Schon gewusst? Was heißt ...
Bürgertum: Das Bürgertum war nicht einheitlich. Was Beruf, Wohlstand oder Ansehen betraf, gab es große Unterschiede. Der reiche Unternehmer fühlte sich dem Bürgertum ebenso zugehörig wie der Händler mit bescheidenem Einkommen. Wichtig waren ihnen bestimmte Werte: Bildung als Voraussetzung für Aufstieg, Selbstständigkeit, Leistung, Verantwortungsbewusstsein und Familiensinn.
Grenzen der Integration – der Antisemitismus Eine neue Judenfeindschaft entsteht
Grenzen der Integration – der Antisemitismus Eine neue Judenfeindschaft entsteht
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Begründung, weshalb Menschen jüdischen Glaubens noch immer ausgegrenzt wurden. Hass auf Juden war nicht mehr nur religiös oder wirtschaftlich begründet, sondern auch rassistisch. Die Anhänger des sogenannten Antisemitismus behaupteten, dass eine „jüdische Rasse“ existiere, die gegenüber anderen minderwertig sei.
Es erschienen antisemitische Bücher und Zeitschriften. Im Deutschen Kaiserreich nahmen antisemitische Parteien an Wahlen teil. Viele Vereine, Klubs und Studentenverbindungen nahmen keine Juden auf.
Dieser organisierte Antisemitismus veranlasste die deutschen Juden 1893 zur Gründung eines Abwehrvereins, des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Der Verein hatte 1918 etwa 240 000 Mitglieder.
Deutsche Juden im Ersten WeltkriegEin vergeblicher Kampf um Zugehörigkeit
Doch viele jüdische Soldaten erlebten während ihres Einsatzes Anfeindungen und Diskriminierungen. Antisemitische Strömungen verbreiteten sich, je mehr Opfer der Krieg forderte. 1916 ordnete das Kriegsministerium eine Erhebung über die jüdische Beteiligung am Frontdienst an, die sogenannte Judenzählung.
Damit sollte geprüft werden, ob Juden den Kriegsdienst verweigerten. Zu einer Veröffentlichung der Ergebnisse kam es nicht. Spätere Auswertungen zeigten: Sehr viele jüdische Soldaten waren am Kriegsgeschehen beteiligt, vor allem an der Front.
Im Ersten Weltkrieg waren für das Deutsche Kaiserreich etwa 100 000 jüdische Soldaten im Einsatz, wovon 78 000 an der Front kämpften. 12 000 jüdische Soldaten starben. Die „Judenzählung“ löste unter deutschen Juden große Enttäuschung aus.
Die Mehrheit der deutschen Jüdinnen und Juden stand der Revolution von 1918/19 verhalten gegenüber. Die freiheitliche Grundordnung der Weimarer Republik unterstützten sie aber umso mehr.
Eine Revolution beendet das Kaiserreich
Der Erste Weltkrieg endete mit der Niederlage des Deutschen Kaiserreichs am 11. November 1918. Tage zuvor brach dort eine Revolution aus. Arbeiter und Soldaten protestierten gegen den Krieg und wollten endlich Frieden. Die Republik ersetzte das Kaiserreich als neue Staatsform.
Die Mehrheit der deutschen Jüdinnen und Juden stand der Revolution von
1918/19 verhalten gegenüber. Die freiheitliche Grundordnung der Weimarer
Republik unterstützten sie aber umso mehr.
Akteure und Opfer des Umbruchs
Auch einzelne jüdische Politiker spielten während der Revolution 1918/19 eine wichtige Rolle. Das Foto zeigt den Anführer der Revolution in Bayern, Kurt Eisner (1867–1919, Bildmitte mit schwarzem Hut) auf einer Demonstration in München im Februar 1919. Wenige Tage später fiel er einem rechtsextremen Mordanschlag zum Opfer. Auch die jüdische Politikerin Rosa Luxemburg (1871–1919) fiel einem Attentat zum Opfer. Für antisemitischen Organisationen waren sie verhasste Repräsentanten der neuen Republik.
Deutsche Juden in der Weimarer RepublikVollendung und Krise der Emanzipation
Deutsche Jüdinnen und Juden nahmen vermehrt am sozialen und besonders am kulturellen Leben teil, weil sie nun die Freiheit dafür hatten (mehr dazu hier).
Trotz rechtlicher Gleichstellung nahm der Antisemitismus im Alltag zu, besonders in den Anfangs- und Endjahren der Republik. Es entstanden antisemitische Organisationen und Parteien, etwa der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“ und die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP).
Sie, aber auch gewöhnliche Mitbürgerinnen und Mitbürger machten die deutschen Juden für alle Krisen verantwortlich, etwa die Kriegsniederlage, die Ausrufung zur Republik oder die Weltwirtschaftskrise. Neben Beleidigungen kam es auch zu Gewalt und Angriffen. Jüdische Politiker wurden Opfer von Anschlägen.
Deutsche Juden in der Weimarer RepublikKrisenzeiten
Auch die Folgen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 waren verheerend: Bis Anfang der 1930er-Jahre gab es über sechs Millionen Arbeitslose. Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft – Selbstständige, Beamte, Arbeiter, Bauern – verloren ihr Erspartes und verarmten. Darunter waren auch viele jüdische Kleinhändler und Ladenbesitzer. Sie mussten ihre Geschäfte schließen.
Gabriel Riesser
Die jüdische Emanzipation beschreibt die Entwicklung von Jüdinnen und Juden von einer sozialen und religiösen Randgruppe zu rechtlich gleichgestellten Mitgliedern einer Gesellschaft.
Lebenslanger Kampf für Emanzipation
Gabriel Riesser kam am 2. April 1806 in Hamburg als jüngstes von fünf Kindern zur Welt. Er wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie auf. Die Eltern ermöglichten ihren Kindern eine gute Schulausbildung. Riesser studierte danach Jura und schloss seine juristische Ausbildung mit einer Promotion an der Universität Heidelberg ab. Aber als bekennender Jude durfte er nicht als Rechtsanwalt praktizieren. Auch eine Anstellung als Privatdozent, das heißt als unbezahlter Professor, an einer Universität erlaubten ihm die Behörden nicht. In zahlreichen politischen Schriften kämpfte er gegen diese Diskriminierung an. 1831 schrieb er: „Wir sind entweder Deutsche, oder wir sind heimatlos.“
Ein Wortführer des deutschen Judentums
Grabriel Riesser, hier auf einem Porträt von Moritz Daniel Oppenheim um das Jahr 1848, trat für die vollständige rechtliche Gleichstellung der deutschen Juden ein. Das Judentum sollte als eine Religion wie jede andere betrachten werden und reine Privatsache sein. Eine Taufe, um seine Karrieremöglichkeiten zu verbessern, lehnte Riesser im Vergleich zu vielen seiner Zeitgenossen entschieden ab.
Schon gewusst? Was heißt ...
Emanzipation: Dieser Begriff meint
so etwas wie „Befreiung“ oder auch „Gleichstellung“, hauptsächlich von
Personengruppen, die rechtlich benachteiligt werden.
Die jüdische Emanzipation
beschreibt die Entwicklung von Jüdinnen und Juden von einer sozialen und
religiösen Randgruppe zu rechtlich gleichgestellten Mitgliedern einer
Gesellschaft.
Ein Parlamentarier der ersten Stunde Kampf für bürgerliche Gleichberechtigung
Als Vertreter der Liberalen arbeitete Riesser in mehreren Ausschüssen und war für einige Monate einer ihrer Vizepräsidenten. An der Ausarbeitung der Verfassung war er aktiv beteiligt. Er formulierte darin den Paragrafen 146, der die Gleichheit aller Bürger, unabhängig ihrer Religion, festschrieb: „Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch eingeschränkt.“
Ein Parlamentarier der ersten StundeKampf für bürgerliche Gleichberechtigung
Diese Position verteidigte er im August 1848 in einer viel beachteten Parlamentsrede gegen den Rechtsprofessor Moritz Mohl, der auch im künftigen deutschen Staat die alten Einschränkungen für Jüdinnen und Juden durch eine gesonderte Gesetzgebung bestehen lassen wollte. Riesser überzeugte die Mehrheit der Abgeordneten.
Eine hitzige Parlamentsdebatte über die Rechtslage der Juden im zukünftigen Deutschen Reich Die Position von Moritz Mohl
Eine hitzige Parlamentsdebatte über die Rechtslage der Juden im zukünftigen Deutschen Reich Die Position von Moritz Mohl
Auszüge aus Mohls Rede in der Frankfurter Nationalversammlung am 28. August 1848:
[…]
Ich will damit keineswegs sagen, dass die Gemeinsamkeit der Sprache, dass die Gemeinschaft des Landes nicht die Israeliten bis zu einem gewissen Grade zu Deutschen macht; aber vollständig können und werden die Israeliten zu einem deutschen Stamme wegen dieser historisch gegebenen Verhältnisse und allerdings auch der religiös-gegebenen niemals werden.
Wenn es sich nur von den politischen Rechten handelte. So wäre die Frage viel einfacher. Gewiss niemandem wird es einfallen, das aktive und passive Wahlrecht der Israeliten beanstanden zu wollen. Wir werden uns im Gegenteil nur freuen, wenn Israeliten, – wie dies ja häufig der Fall ist, – so sehr das Vertrauen des deutschen Volkes genießen, dass sie das deutsche Volk zu seinen Vertretern wählt.
[…]
Wenn wir heute alle Schacher- und Sack-Juden, alle israelitischen Viehversteller, alle mit wucherlicher Aussaugung der armen Bauern beschäftigten Juden für vollberechtigte Staatsbürger erklären, so wird jene nachteilige Einwirkung auf das deutsche Volk damit keineswegs verwischt, vielmehr gewinnen dieselben dann nur ein freieres Feld, um ihre nachteilige Einwirkung auf das deutsche Volk recht ungehindert und vollkommen betreiben zu können. Wir wollen human sein gegen die Israeliten, unsere erste Pflicht ist gegen das deutsche Volk.
[…]
Aber der Hauptgrund der von mir erörterten Übelstände liegt gleichwohl in ganz anderen Verhältnissen: er liegt darin, dass der israelitische Volksstamm sich mit dem deutschen Volke nicht verschmilzt, sich mit demselben nicht identifiziert und nicht identifizieren kann, vermöge seiner religiösen Verhältnisse […] Das ganze Leben, die ganze Richtung und Beschäftigung der Israeliten in den unteren Volksschichten ist eine volksverderbliche [...]. Den alten Juden in den unteren Volksschichten machen sie nicht anders, und je mehr man ihn von allen Fesseln befreit, umso leichter wird er es haben, das Volk auszubeuten.“
Aus: Riesser/Mohl, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung, hrsg. von Franz Wigard, Bd. 3, Frankfurt 1848, S. 1754 – 1757.
Eine hitzige Parlamentsdebatte über die Rechtslage der Juden im zukünftigen Deutschen Reich Die Position Gabriel Riessers
Eine hitzige Parlamentsdebatte über die Rechtslage der Juden im zukünftigen Deutschen Reich Die Position Gabriel Riessers
Auszüge aus Riessers Rede in der Frankfurter Nationalversammlung am 29. August 1848:
[…]
Ich selbst habe unter den Verhältnissen der tiefsten Bedrückung gelebt, und ich hätte bis vor kurzem in meiner Vaterstadt nicht das Amt eines Nachwächters erhalten können. Ich darf es als ein Werk, ich möchte sagen, als ein Wunder des Rechts und der Freiheit betrachten, dass ich befugt bin, hier die hohe Sache der Gerechtigkeit und Gleichheit zu verteidigen ohne zum Christentum übergegangen zu sein […]. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, gleiche Rechte zu geben für aktive und passive Wählbarkeit, für das hohe Werk der Gesetzgebung, so lange noch die verletzendsten Ausnahmegesetze in niederen Sphären bestehen.
[…]
Die Juden werden immer begeisterte und patriotische Anhänger Deutschlands unter einem gerechten Gesetz werden. Sie werden mit und unter den Deutschen Deutsche werden. [...] Glauben Sie nicht, dass sich Ausnahmegesetze machen lassen, ohne dass das ganze System der Freiheit einen verderblichen Riss erhalten, ohne dass der Keim der Verderbnis in dasselbe gelegt würde. Es ist Ihnen vorgeschlagen, einen Teil des deutschen Volkes der Intoleranz, dem Hasse als Opfer hinzuwerfen; das werden Sie nimmermehr tun, meine Herren.“
Aus: Riesser/Mohl, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung, hrsg. von Franz Wigard, Bd. 3, Frankfurt 1848, S. 1754 – 1757.
Eintritt in den Staatsdienst
Nach dem Scheitern der
Revolution kehrte Riesser nach Hamburg zurück und nahm seine Arbeit als Notar
wieder auf. Unermüdlich setzte er sich für die Gleichstellung der Juden ein,
die er in seiner Heimatstadt noch erleben sollte. 1859 erhielt Hamburg eine
neue Verfassung und Riesser konnte dort das Bürgerrecht erwerben. Riesser wurde
in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, deren Vizepräsident er zeitweilig war. 1860
folgte der Eintritt in den Staatsdienst. Er wurde zum Mitglied des
Hamburgischen Obergerichts ernannt – und somit zum ersten Richter jüdischen
Glaubens in einem deutschen Staat. Riesser starb drei Jahre später, am 22.
April 1863 in Hamburg. Doch die Aufnahme in den Staatsdienst, die Riesser in
Hamburg gelang, blieb noch Jahrzehnte eine Ausnahme.
Ein Wegbereiter in neue Berufswelten
Eine Karikatur in der Hamburger Zeitung „Reform“ über Riessers Wahl ins Obergericht 1860. Die Unterzeile lautet: „Nun, das ist nicht zu streiten, der macht ein großes Loch. Da können nun bald mehr hindurch!“
Ausstellungsraum 3
Walther Rathenau
Eine vielschichtige Persönlichkeit Walther Rathenau
Walther Rathenau war Teil des deutsch-jüdischen Bürgertums und akademisch umfassend gebildet. Er studierte Chemie, Physik, Maschinenbau und Philosophie. Darüber hinaus malte er, schrieb Gedichte, spielte Klavier und entwarf sein Haus selbst.
Rathenau faszinierte die Menschen, die ihn kennenlernten und war ein begehrter Gesellschafter. Zugleich war er ein einsamer Mensch, der enge Verbindungen mied. Weder hatte er eine Gefährtin noch gründete er eine Familie.
Leistungsträger der Gesellschaft
Als Walther Rathenau aufwuchs, stieg das Deutsche Kaiserreich zu den führenden Industrienationen der Welt auf – auch dank seiner Chemie- und Elektroindustrie. Elektrische Energie konnte als Energiequelle für Beleuchtungen und den Antrieb von Maschinen genutzt werden. Walthers Vater Emil (vorne links) gründete in den 1880er-Jahren die „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“ (AEG), einen erfolgreichen Elektrokonzern. Auf dem Foto aus dem Jahr 1911 posierte er mit dem US-amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison vor einer Turbine in einem Werk der AEG.
Walther Rathenau – vielseitig, produktiv und streitbarIndustrieller und Intellektueller
Rathenau bekleidete als Industrieller über 80 Aufsichtsratsposten. Daneben schrieb er Arbeiten zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zeitfragen. 1897 veröffentlichte er den umstrittenen Aufsatz „Höre Israel“. Rathenau setzte sich darin mit dem Verhältnis von Juden und Nichtjuden im Deutschen Kaiserreich auseinander. Er forderte die deutschen Juden auf, sich vollständig in die Gesellschaft zu integrieren.
Rathenau, und mit ihm der Großteil der Jüdinnen und Juden des Deutschen Kaiserreichs, verstanden sich vor allem als Deutsche, die nur einer anderen Religion angehörten als die christliche Mehrheit.
Auf der Suche nach seinem Standort in der Gesellschaft
Aber dieses Selbstverständnis wurde auch in Rathenaus Leben schon früh erschüttert. Obwohl er im Garderegiment des deutschen Kaisers gedient hatte, war ihm wegen seiner jüdischen Herkunft die Beförderung zum Offizier versagt worden.
Walther Rathenaus jüdische Herkunft
Seine Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung im Deutschen Kaiserreich beschrieb er so: „In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.“
Walther Rathenau im Ersten Weltkrieg Einstieg in die Politik
Das Foto zeigt Mitarbeiterinnen der Königlichen Munitionsfabrik in Berlin-Spandau zur Zeit des Ersten Weltkriegs.
Walther Rathenau in der Weimarer Republik Höchste politische Aufgaben in unruhigen Zeiten
Walther Rathenau in der Weimarer Republik Höchste politische Aufgaben in unruhigen Zeiten
Ab Mai 1921 war Rathenau im Kabinett von Reichskanzler Joseph Wirth Wiederaufbauminister. Dafür gab er alle Ämter in der Wirtschaft auf. Er trat für einen Ausgleich mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs ein, um so die Undurchführbarkeit des Versailler Vertrages zu beweisen und die Kriegsentschädigungen zu reduzieren, die der deutsche Staat zu zahlen hatte.
Mit dieser sogenannte Erfüllungspolitik erzielte Rathenau erste Erfolge, doch die politische Öffentlichkeit war gespalten: Liberale und Sozialdemokraten unterstützten mehrheitlich seinen Kurs, Konservative lehnten sie ab.
Für nationalistische und rechtsradikale Kreise war Rathenau ein doppelter Feind: Er trat für eine Verständigung mit den ehemaligen Kriegsgegnern und die Umsetzung des Versailler Vertrages ein. Sie beschimpften ihn als einen von den Siegermächten gesteuerten „Erfüllungspolitiker“ – und weil er Jude war.
Schon gewusst? Was heißt ...
Versailler Vertrag: Versailles bei Paris war der Ort, an dem Vertreter der Siegermächte des Ersten Weltkriegs die Nachkriegsordnung aushandelten. Deutsche Vertreter durften nicht teilnehmen. Das ehemalige Deutsche Kaiserreich musste ein Siebtel seines Territoriums mit einem Zehntel seiner Bevölkerung und seinen gesamten Kolonialbesitz abtreten. Heer und Kriegsgeräte wurden stark reduziert. Die Verantwortlichkeit für den Krieg schrieb der Vertrag dem Deutschen Kaiserreich und seinen Verbündeten zu. Damit wurden die Reparationsforderungen an die Siegermächte gerechtfertigt. Die Bestimmungen des Versailler Vertrags empfand ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit und Politiker aller Parteien als hart und ungerecht, besonders wegen des „Kriegsschuldartikels“.
Ernennung zum Außenminister Ein Repräsentant der deutschen Republik
Aber seine Mutter und Freunde hatten große Sorge um Rathenaus Leben, denn auf jüdische Politiker waren in der Vergangenheit gezielt Anschläge verübt worden. Auch Rathenau erhielt Drohungen. Die Polizei drängte ihn vergeblich, sich von Leibwächtern schützen zu lassen. Das Foto zeigt Rathenau auf dem Rücksitz seines Wagens kurz vor seiner Ermordung am 24. Juni 1922.
Anschlag auf Walther Rathenau Ein Mord erschüttert die Republik
Reichspräsident Friedrich Ebert veranlasste eine Verordnung zum Schutz der Republik. Reichskanzler Joseph Wirth hielt einen Tag nach der Ermordung Rathenaus im deutschen Reichstag eine emotionale Gedenkrede. Auf diesem Foto steht Wirth am Rednerpult. Die Rede endete mit dem Satz: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“
Jüdisches Leben in Deutschland heute
Toni Sender
Erwerbstätigkeit und Rebellion gegen die traditionelle Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter waren in der bürgerlichen Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs möglich, aber auch ungewöhnlich. Toni Sender wollte unabhängig sein.
Toni Sender
Sidonie Zippora Sender, die sich später „Toni“ nannte, kam am 29. November 1888 in Wiesbaden-Biebrich zur Welt. Sie stammte aus einem jüdisch-bürgerlichen Elternhaus. Ihr Vater, Moritz (Moses) Sender, war Kaufmann und Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, deren Mitgliederzahl etwa einen Prozent der Gesamtbevölkerung Biebrichs ausmachte.
Früh unabhängig
Sender war 13 Jahre alt, als sie nach dem Besuch der Schule
ihr Elternhaus verließ, um in Frankfurt am Main eine Handelsschule für Mädchen
zu besuchen. Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung arbeitete sie zunächst in einer Immobilienfirma. Nebenher bildete sie sich politisch weiter. Sie nahm unter anderem an
Demonstrationen für das allgemeine und gleiche Wahlrecht teil und trat der SPD bei.
Erwerbstätigkeit
und Rebellion gegen die traditionelle Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter
waren in der bürgerlichen Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs möglich, aber auch
ungewöhnlich. Toni Sender wollte unabhängig sein.
Keine Zeugnisse aus Kindheit und Jugend
Eine Bildpostkarte Toni Senders aus dem Jahr 1930. Die Abkürzung „M.d.R.“ steht für „Mitglied des Reichstags“. Fotografien und Zeugnisse aus Senders Kindheit und Jugend sind nicht bekannt, da die Familie vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Ihr Vater verstarb 1929.
Frankfurt – Paris – FrankfurtEine Frau wird Politikerin
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs musste Sender nach Frankfurt zurückkehren. Aus Protest gegen die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten trat sie aus der Partei aus. Sender war Gründungsmitglied der „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (USPD), die sich 1917 von der SPD abspaltete.
In der USPD hatte sie rasch Erfolge: als begabte Rednerin, als Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung und als Redaktionsleiterin des USPD-Blattes „Volksrecht“. Toni Senders Karriere als Berufspolitikerin begann.
Eine Politikerin der ersten Generation Toni Sender stellt sich zur Wahl
Eine Politikerin der ersten Generation Toni Sender stellt sich zur Wahl
Wählt am Sonntag die Liste Toni Sender!
Ohnmächtig wart ihr während des Krieges! Schweigend habt Ihr
dulden müssen, dass Eure Männer, Eure Söhne, Eure Brüder gequälte, geschundene Opfer wurden des militaristischen, imperialistischen und kapitalistischen Wahnsinns der herrschenden Gewalten! Bedenkt, nicht nur Wilhelm II., Hindenburg und Ludendorf allein waren es, die das Massensterben, die körperlichen und seelischen Qualen Millionen blühender Volksgenossen auf dem Gewissen haben, sondern alle die Parteien, die 4 ½ Jahre lang dem Moloch „Krieg“ die Mittel bewilligten, die sich zu Schleppträgern […] degradieren ließen.
Nur die
Unabhängige Sozialdemokratische Partei
hat den flammendsten Protest der Frauen, der Mütter gegen die systematische Ausrottung ihres Fleisches und Blutes Ausdruck verliehen.
Bekundet Ihr Eure Sympathie und Euren entschlossenen Willen, in Zukunft Eure Lieben zu schützen vor gleichem Verderben, indem Ihr geschlossen eintretet für die auf der Liste der USPD an erster Stelle stehende Kandidatin
Toni Sender.
Sie ist die Frau, die gewillt ist, einzutreten für die heiligen Rechte der Frauen, der Mütter!“
Gewählte Volksvertreterinnen
Sozialdemokratinnen im deutschen Reichstag 1925. Die SPD stellte zu dieser Zeit den größten Frauenanteil aller Parteien im Parlament. Toni Sender, vorn links sitzend im Bild, gehörte mit 37 Jahren zu den jüngsten.
Eine Karriere in der Spitzenpolitik
1920 zog die Politik Toni Sender nach Berlin: Als Spitzenkandidatin der USPD wurde sie im Wahlkreis Hessen-Nassau in den Deutschen Reichstag gewählt. Als sich SPD und USPD 1922 wiedervereinigten, nahm Sender ihr Mandat erneut für die SPD wahr. Sie zählte zum linken Flügel der Partei. Abgeordnete des Reichstags blieb sie bis 1933.
Eine engagierte Parlamentarierin
Sender war auch Gewerkschafterin und schrieb Hunderte von Beiträgen für sozialdemokratische Zeitungen und Zeitschriften. 1928 wird sie Chefredakteurin der sozialdemokratischen Zeitschrift „Frauenwelt“.
Sender wollte Frauen dazu bringen, sich aus ihrer Abhängigkeit und Diskriminierung zu befreien: „Ihr Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes, es ist uns kein Erlöser geboren! Selber müssen wir unser Leben gestalten, uns mit eigener Kraft emporarbeiten aus dem Dunkel. Jetzt endlich hat man die Hemmnisse vergangener politischer Sklaverei aus dem Weg geräumt – unsere wirtschaftliche Befreiung können und müssen wir uns selbst erkämpfen!“
Flucht vor dem NS-Regime Ein neues Leben in den USA
Nach dem Reichstagsbrand floh Sender im März 1933 über die Tschechoslowakei und Belgien in die USA. Das Land hatte sie schon in den 1920er-Jahren bereist. Sie blieb dauerhaft und erhielt 1943 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft – in Gedanken war sie aber oft in ihrer alten Heimat.
Sender setzte in den USA ihre politische Arbeit fort. In Vorträgen und Artikeln klärte sie über die Situation im nationalsozialistischen Deutschen Reich auf. In den USA fand sie auch zum Judentum. Sie engagierte sich in jüdischen Organisationen und warb nach den Novemberpogromen im Deutschen Reich 1938 dafür, deutschen Jüdinnen und Juden die Einreise in die USA zu ermöglichen.
Ab 1944 arbeitete Sender in Expertengruppen der Vereinten Nationen (UN), etwa in der „Kommission für die Rechtsstellung der Frau“ und in der „Menschenrechtskommission“. Toni Sender starb 1964 in New York. In ihren letzten Lebensjahren schloss sie sich der jüdischen Gemeinde an.
Jüdisches Leben in Deutschland heute – Antisemitismus
Antisemitismus in Deutschland heute Die Zahl der Vorfälle steigt weiter
In der jährlichen Polizeistatistik werden viele Straftaten gegen hier beheimatete Jüdinnen und Juden sowie gegen jüdische Einrichtungen als „politisch motiviert“ oder als „Protest gegen die Politik Israels“ erfasst. In den letzten Jahren haben verbale Angriffe auf Jüdinnen und Juden und Angriffe auf offener Straße zugenommen.
Die Anzahl der gemeldeten Vorfälle steigt – viele werden aber nicht angezeigt. Die Gründe sind vielfältig. Nach einer Studie der EU zu „Diskriminierung und Hasskriminalität gegenüber Jüdinnen und Juden“ (2019) gaben 39 Prozent der Befragten an, in den letzten fünf Jahren Opfer von antisemitischer Belästigung gewesen zu sein. Die Mehrheit, fast 80 Prozent, meldete die Vorfälle nicht bei der Polizei. Nahezu die Hälfte meldete sie nicht, da sie das Gefühl hatte, dass sich dadurch nichts ändern würde, oder sie den Vorfall als nicht schwerwiegend genug empfand.
Antisemitismus ist allgegenwärtig, etwa in Raptexten, die den Holocaust verharmlosen, Beleidigungen sowie Bedrohungen im Alltag oder auch dann, wenn auf Demonstrationen antisemitische Parolen gerufen werden.
Antisemitische Straftaten
Die Statistik erfasst nur Straftaten, die zur Anzeige gebracht und strafrechtlich verfolgt wurden. Die Dunkelziffer von antisemitischen Vorfällen dürfte noch höher sein. Der hohe Anteil der Straftaten, die rechts motiviert sind, kommt unter anderem zustande, da hier alle fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten erfasst werden, die einen Bezug zum Nationalsozialismus erkennen lassen, etwa die Nutzung von NS-Symbolen.
Ab 2017 wird in der Statistik zwischen politisch motivierter Kriminalität mit „ausländischer“ und „religiöser Ideologie“ unterschieden. Der „ausländischen Ideologie“ werden alle Straftaten zugeordnet, bei denen davon auszugehen ist, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Weltanschauung der Tat zugrunde liegt – unabhängig von einer Staatsangehörigkeit.
Wie antisemitisch ist Deutschland?
Antisemitismus in Deutschland heute Terroranschlag in Halle
Der versuchte Massenmord scheiterte nur, da es ihm nicht gelang, in die Synagoge einzudringen. Er erschoss eine Passantin vor dem Gebäude und auf seiner Flucht einen weiteren Menschen. Vor seiner Tat veröffentlichte der Täter sämtliche Informationen zum geplanten Anschlag im Internet und übertrug seine Tat per Livestream.
Der Anschlag erschütterte die deutsche Gesellschaft und rückte die Bedrohung von Antisemitismus erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie nahmen Jüdinnen und Juden den Anschlag und die darauffolgende Aufmerksamkeit wahr?
„Das Wichtigste ist, dass wir keine Angst haben“Avital, 23 Jahre, ist Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und sagt über den Anschlag in Halle:
Ich bin damit aufgewachsen, dass jüdische Institutionen selbstverständlich bewacht werden, dass vor jeder jüdischen Institution, ob Kindergarten oder Synagoge, Sicherheitspersonal steht. […] Das Wichtigste ist, dass wir keine Angst haben. Angst macht fahrlässig, aber wir müssen achtsam sein. Ich will mich nicht wegekeln lassen aus meinem Heimatland. Gleichzeitig kann ich verstehen, wenn jüdische Menschen sich unsicher fühlen und enttäuscht sind. Für mich ist Wegziehen keine Lösung. Auch wenn an einem Tag wie heute die Rede nur von dieser Tat ist, bewegt uns mehr als Antisemitismus.“
„Junge Jüdinnen nach Anschlag in Halle: ‚Ich will mich nicht wegekeln lassen aus meinem Land‘“, Artikel vom 10. Oktober 2019 von ze.tt